Nur als Beschenkte können wir Schenkende sein Predigt 11. Juni 2012

Sie wissen, liebe Brüder, das soeben gehörte Evangelium hatte für den jungen Franziskus in seinem Suchen und Fragen eine große, ja entscheidende Bedeutung. Als er es während einer Messfeier in der kleinen Portiunculakapelle hörte, ging er hinterher in die Sakristei und fragte den Priester, ob er ihm dieses Evangelium erklären könne. Als dieser es getan hatte, klatschte Franziskus in die Hände und sagte: „Das ist es, was ich will, das verlange ich zu tun aus ganzem Herzen!“ Sofort und mit frohem Herzen setzte er, so gut er konnte, das Gehörte in die Tat um. Thomas von Celano kommentiert: „Er war ja kein tauber Hörer des Evangeliums.“

Liebe Franziskusbrüder, was sagt uns heute, auch im Blick auf das Generalkapitel und die Themen, die uns bewegen, dieses Evangelium? Wie können wir es auf uns hin deuten und anwenden?

Mir fällt als erstes auf: Es sind Fischer und Zöllner, die Jesus sendet, Menschen wie du und ich. Menschen mit Schwächen, mit bisweilen ungestümem Temperament, nicht frei von Angst; Menschen, weder besonders tugendhaft, noch besonders gescheit, allesamt Laien, keine Schriftgelehrten, keine theologischen Experten. Da ist nichts Professionelles. Anscheinend sind andere Dinge wichtiger.

Als zweites klingt mir noch das „Geht“ in den Ohren „Geht!“ Es klingt wie ein Fanfarenstoß. Geht zu den Menschen! Das heißt: Wartet nicht, bis die Leute zu euch kommen! Geht zu ihnen hin! Seid offen für das, was die Menschen bewegt, für ihre Fragen und Sorgen, ihre Nöte und Ängste, ihre Hoffnungen und Freuden! Nicht „Komm-her-“, sondern „Geh-hin-Seelsorge“! Das ist auch uns heute gesagt! Schreiben wir es uns hinter die Ohren und nehmen wir es zu Herzen!

Als drittes fällt mir auf: Jesus schickt die Jünger zu zweit aus. Sie sollen einander unterstützen, miteinander die Lasten ertragen, Stra­pazen aushalten, gemeinsam Krisen meistern und Gefahren bestehen. Zu zweit kann man sich auch austauschen, Probleme besprechen, sich gegenseitig anspornen. Gemeinsamkeit verleiht Stärke und Kraft. Mindesten zwei: Das heißt, meines Erachtens auch: Es geht um gelebte Gemeinschaft. Sie sollen nicht nur durch Worte predigen, sondern durch ihr Beispiel. Es soll anschaubar werden, wie es geht, miteinander Leben und Glauben zu teilen, Liebe zu üben, Geduld zu haben, verzeihen zu können.

Das sagt uns, liebe Brüder: Christen, und erst recht Ordenschristen, sind keine Einzelkämpfer, keine Solisten. Tuchfühlung ist angesagt, sich einhaken, Solidarität, Geschwister-lichkeit, Weggemeinschaft.

Der Versuchung zum Alleingang gilt es, auch heute, zu widerstehen. Das Gemeinsame suchen, im Gespräch bleiben, gemeinsam Wege suchen, einander stützen und stärken! Wie aktuell ist auch im Blick auf Sinn und Ziel einer Versammlung wie Ihres Generalkapitels!

Als viertes fällt auf, liebe Brüder: Die Jünger sollen nichts mitnehmen. Nur das Allernotwendigste. Warum das? Ich denke, die Jünger sollten erfahren, wie es ist, sich ganz auf die Güte der Menschen zu verlassen und letztlich auf die Vorsehung Gottes zu vertrauen. Es gibt überall gute Menschen. Und vor allem: Gott ist gut! „Nehmt nichts mit!“ – Für mich heißt das: Geh so zu den Menschen, so wie du bist. Sei einfach! Sei einfach! Sei du selbst! Gib dich selbst! Sag, was du glaubst! Sprich von deinen Erfah­rungen! Da brauchst du keinen Doktortitel, keine Propagandamittel, kei­nen unnötigen Ballast. Das alles ist es nicht und bringt es nicht. Weniger kann mehr sein. Weniger an Sachen, Hilfsmittel, Institution, Bürokratie. Mehr an Freiheit, Unabhängigkeit, Beweglichkeit. Weniger an Haben, mehr an Sein. Das, liebe Brüder, scheint mir auch für die Kirche heute und auch für die Orden, gerade auch für die franziskanischen Gemeinschaften, eine Zielvorgabe, die hochaktuell ist.

„Nehmt nichts mit!“ – Für mich heißt das auch: Komm nicht protzig daher! Pflege nicht dein eigenes Image! Profilier dich nicht selbst! – ER muss wachsen! Sein Reich, seine Herrschaft, sein Wort die Herzen der Menschen erreichen. Reichtum und Macht, Prestige und Prunk, Ehrsucht und Erfolgshunger sind keine Kategorien des Evangeliums. Das alles kann sogar zur Fessel für die Botschaft werden.

Ein weiterer Aspekt in der Aussendungsrede Jesu ist das Bleiben! Jesus schickt die Seinen nicht nur los mit leichtem Gepäck. Sie sollen auch mit ihrer Unterkunft und Verköstigung zufrieden sein. Sie sollen bleiben, wo sie Quartier gefunden haben. Es könnte sonst Neid und Eifersucht und manches Gerede entstehen wegen des Wechselns in bequemere Unterkünfte. Sie sollen sich nicht heute hier und morgen dort mit dem Besten verwöhnen lassen. Sie sollen keine Ansprüche stellen. Sie sollen zufrieden sein mit dem, was sie vorfinden und was gute Menschen ihnen anbieten.

Noch etwas ist m. E. bedeutsam im heutigen Evangelium, nämlich: „Heilt die Kranken! Treibt Dämonen aus!“ Es fällt auf, dass die Jünger von Jesus nicht nur den Auftrag zur Verkündigung erhalten. Sie sollen die Gottesherrschaft nicht nur mit Worten ausrufen, Jesus gibt ihnen vielmehr auch die Vollmacht, Kranke zu heilen und Dämonen auszutreiben. Die Dämonen, die Abergeister, haben viele Gesichter: Süchte, Zwänge, Ängste. Es gibt so vieles, worunter Menschen leiden, und manchmal ganz entsetzlich leiden. Sehen Sie, liebe Brüder, es geht Jesus nicht nur um das Seelenheil, sondern um den ganzen Menschen, um das Heil für Seele und Leib. Ging es nicht genau darum auch ihrem Gründer, Br. Jakobus Wirth? Und ist das nicht die Sendung und der Auftrag von Ihnen, liebe Franziskanerbrüder, auch heute? Es geht auch heute noch darum, die Menschen heil zu machen, sie zu befreien, von dem, was sie bedrückt, fesselt, krank und kaputt macht. Es geht darum, für die Menschen da zu sein. Eine Kirche, die nicht dient, dient zu nichts. Das gleiche gilt auch und erst recht für die Orden und geistlichen Gemeinschaften innerhalb der Kirche.

Ein weiterer Aspekt im heutigen Evangelium: der Friedensgruß! Die Jünger sollen, wenn sie in ein Haus kommen, den Frieden wünschen. Auch diese Weisung hat der hl. Franziskus wörtlich genommen und seine Brüder immer wieder dazu aufgefordert. Dieser Friedensgruß ist mehr als eine Höflichkeit. Er ist Gabe, Gottes­gabe. Dieser Gabe gegenüber kann man offen sein oder abweisend, man kann dankbar sein für dieses Geschenk oder sich ihr gegenüber verschließen.

Noch etwas fällt mir auf: Jesus weiß: Nicht überall werden die Boten mit offenen Armen empfan­gen. Jesus sieht das ganz realistisch. Die Jünger werden – wie er selbst – auch auf Ablehnung stoßen und Hass erfahren. „Haben sie mich verfolgt, dann werden sie auch euch verfolgen.“ Da, wo solches geschieht, sollen sie sich nicht aufreiben und keine Zeit vertun, sondern sollen einfach weiterziehen und den Staub von den Füßen schütteln. Vielleicht kommt die Zeit später, vielleicht kommt die Zeit nie. Gott weiß es. Sie sollen die Frohe Botschaft mit ganzer Kraft verkünden, säen, säen und nochmals säen. Jeder soll die Botschaft vernehmen. Alle sind eingeladen, den Glauben kennen zu lernen. Aber keinem darf er aufgezwungen werden. Die Frohe Botschaft soll nicht aufgedrängt werden. Mit Druck und Zwang bringt man den Menschen Gott nicht näher. Ob und wie das Reich Gottes Fuß fasst, liegt in der Freiheit des Men­schen. Gott respektiert diese Freiheit. Annahme oder Ablehnung entzieht sich letztlich der Verfügung und dem „Machen“ des Jüngers. Die Aussaat ist unser, die Ernte ist des Herrn.

Ein Letztes fällt mir auf, liebe Brüder: „Umsonst habt ihr empfangen, umsonst sollt ihr geben!“ Umsonst, gratis. In gratis steckt das lateinische Wort „gratia“, d.h.: Gnade. Wichtig ist, zu erkennen, dass ich selbst Empfangender bin, Beschenkter. Das macht demütig. Und zu erkennen, wie sehr ich beschenkt bin, wie groß die Gabe, die Gnade ist, das macht noch demütiger. Und es macht dankbar. „Umsonst habt ihr empfangen, umsonst sollt ihr geben!“ Nichts ist uns gegeben nur für uns selbst, sondern zum Weitergeben, und zwar wie wir es vom Geber aller Gaben empfangen haben, gratis, umsonst. „Umsonst habt ihr empfangen, umsonst sollt ihr geben!“ Empfangen und Geben, das prägt, und bestimmt ganz wesentlich unser Leben in der Nachfolge Christi und unserer Sendung zu den Menschen. Wir können nicht immer nur geben. Wir müssen auch schöpfen und auf-nehmen. Nur als Beschenkte können wir Schenkende sein: Vielleicht können auch die Tage und die Feier dieses Generalkapitels wieder Brunnentage sein, wo wir Licht und Kraft, Freude und Zuversicht schöpfen. Das wünsche ich uns allen, um dann auch wieder weitergeben zu können, was wir selbst empfangen haben, gratis, freudig, großzügig, wie Ihr Gründer, der ehrwürdige Br. Jakobus und unser Ordensvater, der hl. Franziskus, es uns vorgelebt haben. Amen

Predigt am Fest des hl. Barnabas zum Tagesevangelium: Mt, 10, 7-13.

ZURÜCK

P. Pius Kirchgessner OFMcap; arbeitet als Exerzitienseelsorger im Kapuzinerkloster Zell a.H. www.pius-kirchgessner.de